Ist uns bewusst, dass unser Gemeindezentrum schon durch die Namensgebung „Farbe bekennt“? Matthäus- und Johannes-Raum verweisen auf die Evangelisten, deren Zeugnis uns die Richtung weist. Aber wer waren Mörike und von Jan, nach denen die hinteren Zimmer benannt sind?
Dietrich Bonhoeffer, nach dem sich das ganze Gemeindezentrum nennt, dürfte bekannt sein; wer seine Erinnerung auffrischen will, sei auf das Buch von Renate Wind verwiesen, „Dem Rad in die Speichen fallen“. Aber auch Mörike und von Jan waren Männer, die „dem Rad in die Speichen“ gefallen sind. Wer nicht so häufig im Mörike- und Jan-Zimmer verkehrt, wo man ihre Biographien nachlesen kann, den möchte unsere Kolumne in diesem und dem nächsten Gemeindebrief auf diese Männer verweisen. Beginnen wir mit
Julius von Jan
Julius von Jan, 1897-1964, hat eine gewisse Beziehung zu Weilimdorf, weil er hier 1923 Vikar war. 1935 wurde er Pfarrer in Oberlenningen (Dekanat Kirchheim/T.); nach dem Krieg war er Pfarrer an der Johanneskirche in Zuffenhausen; den Lebensabend verbrachte er in Korntal. Seinen Glauben zu bewähren zwangen ihn die Vorgänge der „Reichskristallnacht“ im November 1938.
Mit diesem Pogrom trat die Judenverfolgung im Dritten Reich in eine neue, schreckliche Phase. Nach der Ermordung eines deutschen Diplomaten in Paris durch einen Juden ließ die NS-Führung unter der Behauptung eines „spontanen Volkszornes“ die Synagogen in Deutschland zerstören, jüdisches Eigentum beschlagnahmen und viele deutsche Juden misshandeln und in KZ-Haft nehmen. Spätestens jetzt war unverkennbar, wohin die Rassenideologie führen musste. Trotzdem gab es öffentlich kaum Protest, auch nicht von Christen; auch die Bekennde Kirche schwieg.
Julius von Jan protestierte als einer von wenigen Pfarrern in seiner Bußtagspredigt, sieben Tage nach der „Kristallnacht“, öffentlich gegen das Verbrechen und rief Volk und Kirche zur Buße auf. Daraufhin schlugen ihn SA-Leute aus Nürtingen und Umgebung auf offener Straße zusammen und klebten an sein Pfarrhaus Hetzplakate „Judenknecht“. Er wurde in Haft genommen, im April 1939 aus Württemberg und Hohenzollern ausgewiesen, bekam auch in Bayern Schwierigkeiten mit dem NS-Staat und wurde schließlich zu 16 Monaten Gefängnis verurteilt wegen Vergehens gegen den „Kanzelparagraphen“ und das „Heimtückegesetz“. Nach fünfmonatiger Haft wurde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die württembergische Kirchenleitung missbilligte die Bußpredigt von Jans als politische Polemik und Entgleisung. Dass er allerdings nicht in ein Konzentrationslager kam, verdankt von Jan dem Einsatz von Landesbischof Wurm.
Aus der Bußtagspredigt von Jans über Jeremia 22,29: „O Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!“: Wo ist in Deutschland der Mann, der im Namen Gottes und der Gerechtigkeit ruft, wie Jeremias gerufen hat: Haltet Recht und Gerechtigkeit, errettet den Beraubten von des Frevlers Hand! Schindet nicht die Fremdlinge, Waisen und Witwen, und tut niemand Gewalt, und vergießt nicht unschuldig Blut? Gott hat uns solche Männer gesandt! Sie sind heute entweder im Konzentrationslager oder mundtot gemacht. …
Ein Verbrechen ist geschehen in Paris. Der Mörder wird seine gerechte Strafe empfangen, weil er das göttliche Gesetz übertreten hat. Wir trauern mit unserm Volk um das Opfer dieser verbrecherischen Tat. Aber wer hätte gedacht, dass dieses eine Verbrechen in Paris bei uns in Deutschland so viele Verbrechen zur Folge haben könnte? Hier haben wir die Quittung bekommen auf den großen Abfall von Gott und Christus, auf das organisierte Antichristentum. Die Leidenschaften sind entfesselt, die Gebote Gottes missachtet, Gotteshäuser, die andern heilig waren, sind ungestraft niedergebrannt worden, das Eigentum der Fremden geraubt oder zerstört, Menschen wurden ins KZ geworfen, bloß weil sie einer andern Rasse angehören!
Mag das Unrecht auch von oben nicht zugegeben werden – das gesunde Volksempfinden fühlt es deutlich, auch wo man nicht darüber zu sprechen wagt. Und wir als Christen sehen, wie dieses Unrecht unser Volk vor Gott belastet und seine Strafen über Deutschland herbeiziehen muss. Denn es steht geschrieben: „Irret euch nicht! Gott lässt seiner nicht spotten. Was der Mensch sät, das wird er auch ernten!“ Ja, es ist eine entsetzliche Saat des Hasses, die jetzt wieder ausgesät worden ist. Welch entsetzliche Ernte wird daraus erwachsen, wenn Gott unsrem Volk und uns nicht Gnade schenkt zu aufrichtiger Buße! …
Gott Lob! Es ist herausgesprochen vor Gott und in Gottes Namen. Nun mag die Welt mit uns tun, was sie will. Wir stehen in unsres Herren Hand. Gott ist getreu. Du aber o Land, Land, Land, höre des Herrn Wort!
Hansjürgen Popp, Gemeindebrief 2/2003